Gartenschreiber
Wolfram Franke

Glyphosatfreier Garten

Zu dieser Jahreszeit, im Winter, sind noch alle Beete in meinem Gemüsegarten belegt. Dort stehen Grün-, Palm- und Rosenkohl, Winterrettich, Mangold, Endivien, Winterradicchio (‘Roter von Verona’), Schwarz- und Haferwurzeln dicht aneinander. Offenen Boden gibt es nicht. Wo es ihn geben könnte, ist er von Feldsalat bedeckt.

Somit grabe ich die Erde im Herbst auch nicht grobschollig um. Dazu hätte ich überhaupt keinen Platz, siehe oben. Das wäre auch nicht gut fürs Bodenleben, das ich ja mit dem Umgraben buchstäblich auf den Kopf stellen würde. 

Bedeckter Boden

Mit dem Verzicht aufs Umgraben sowie mit der flächendeckenden Kultur von Wintergemüse vermeide ich auch starken Unkrautbewuchs in meinem Gemüsegarten. Denn mit dem Umgraben würde ich ja die Samen einjähriger Wildkräuter an die Oberfläche holen. Und da es sich dabei um Lichtkeimer Lichtkeimer handelt, würden diese Samen ganz schnell keimen. Die Gemüsepflanzen und Salate bedecken den Boden und lassen unterwünschten Wildkräutern noch einmal weniger Chancen zum Keimen. 

Lockern ohne Umgraben

In einigen Wochen werde ich den Boden wieder zur neuen Aussaat vorbereiten. Ich werde ihn mit der Grabgabel lockern ohne die Schollen zu wenden. Anschließend zerkrümele ich die Erde mit dem Vierzahn oder Sauzahn wobei ich, je nach Bedarf, auch Kompost, Urgesteinsmehl und organischen Dünger einarbeite. Mit dem Rechen ziehe ich die Oberfläche glatt.

Nach dem Säen und Pflanzen lockere ich die Erde zwischen den Reihen sobald die Samen aufgegangen und die Setzlinge angewachsen sind. Auch damit unterbinde ich Unkrautwuchs. Später mulche ich die Erde zwischen den Reihen oder säe Perserklee als Gründüngung, den ich immer wieder abschneide, sobald er zu hoch gewachsen ist.

Kein Herbizid

So halte ich den Boden bedeckt und sogenannte Unkräuter gibt es in meinem Gemüsegarten nicht. Somit benötige ich auch kein Unkrautvernichtungsmittel, kein Herbizid, und schon gar nicht Glyphosat. Auch für Wege und die Terrasse habe ich es noch nie gebraucht. Wenn da mal ein bisschen Moos in den Fugen wächst – ist doch schön! Und über Gras in den Fugen kann ich mit dem Handrasenmäher mähen. In meinen beiden Gärten ist Glyphosat, das hierzulande unter dem Namen „Roundup“ verkauft wird, überflüssig. – Ich behaupte, in jedem Garten.

Wo bleiben praktikable Alternativen?

Und in der Landwirtschaft? Biobauern beweisen schon seit langem, dass man ohne dieses Herbizid auskommt. Und der Landwirtschaftsminister Christian Schmidt hätte besser daran getan, Landwirte und Agrarwissenschaftler zu beauftragen, nach praktikablen und risikofreien Alternativen zu Herbiziden zu forschen, anstatt sich selbstherrlich über Vereinbarungen mit dem Umweltministerium hinwegzusetzen.

Zuversicht

Dennoch bin ich zuversichtlich: Wie oft wurde von konventioneller und konservativer Seite schon behaupt „das geht nicht“, wie oft wurden Umwelt- und Naturschützer schon als „weltfremde Spinner“ hingestellt. Ich denke da zum Beispiel an den Atomausstieg. Da hieß es, mit dem Abschalten der AKWs gingen bei uns die Lichter aus. – Bislang ist noch kein Licht ausgegangen. Und auch wenn Glyphosat doch noch verboten wird, was ich sehr hoffe, dann wird es der Umwelt gut tun, kein Bauer wird deshalb seinen Hof aufgeben müssen und wir alle werden bestimmt nicht verhungern!

Januar 2018

Galerie der Sündenböcke  

Anfang Juli 1960 stand ich mit meiner 81 jährigen Großmutter in Berlin-Marienfelde auf der Straße vor dem Flüchtlingslager. Wir gingen ein paar Schritte, da gab mir meine Oma ein 10-Pfennig-Stück mit den Worten: „Du kannst mir mal eine Briefmarke lösen!“ Ich war elf Jahre alt und kannte aus der DDR, aus der wir zwei Tage zuvor geflüchtet waren, keine Automaten. Ich warf den „Groschen“ ein und drehte an der Kurbel des Briefmarkenautomaten. Doch die Briefmarke kam auch nach wiederholtem Drehen nicht. Weiterlesen

„Funktioniert er nicht?“, fragte eine Frau, die gerade vorüberging. Und, ohne eine Antwort abzuwarten, fing sie an zu keifen: „Das sind die Flüchtlinge! Die haben den ganzen Tag nichts zu tun, die machen alles kaputt!“

„Ja, Flüchtlinge“, flüsterte die Oma traurig in sich hinein, „das sind wir ja nun auch ...“

Meine Großmutter war mit uns, meiner Mutter, meinem Vater, meinem Bruder und mir aus der DDR geflüchtet. Der politische Druck auf meine Eltern, sie waren beide Lehrer, hatte derart zugenommen, dass nur noch die Flucht blieb, um Schlimmeres abzuwenden. Die Oma wollten wir nicht allein zurücklassen.

Doch sie hatte etwas zurück gelassen: Ihr Klavier, das die studierte und in ihrer Jugend erfolgreiche Pianistin seit ihrer Kindheit begleitet hatte. Selbst als 81jährige hatte sie noch täglich gespielt. Doch nun besaß sie, wie wir alle, nur den Inhalt eines Koffers. Die Oma wurde 96 Jahre alt. Doch nach der Flucht hat sie nie wieder Klavier gespielt. 

Sündenböcke Nr. 1: DDR-Flüchtlinge und Heimatvertriebene  

Nachdem unsere Familie im südlichen Westfalen eine neue Heimat fand, misstraute man uns Flüchtlingen aus der DDR. Wir bekamen vom Staat gerade mal das Nötigste: einen Tisch, vier Stühle, einfache Bettgestelle und Seegrasmatratzen. Die Lehrerexamen, die meine Eltern in der DDR bestanden hatten, wurden in der Bundesrepublik nicht anerkannt. Mein Vater wurde zunächst als „Hilfslehrer“, meine Mutter erst einmal gar nicht angestellt.

Wenn mein Vater von seinem spärlichen Gehalt etwas bei Seite gelegt hatte, wurde ein neues Möbelstück gekauft, von „Quelle“, weil es dort am billigsten war. Wenn wir das westdeutschen Bekannten erzählten, lachten sie uns aus. Doch nicht nur das. Die kleineren Stücke kamen mit der Bahn, mal ein Sessel, mal ein kleiner Couchtisch ... Ich freute mich über diese neuen Einrichtungsgegenstände und ließ es mir nicht nehmen sie mit der Schubkarre vom Bahnhof abzuholen. Dann hörte ich die Leute im Dorf tuscheln: „Schon wieder was Neues. Woher haben die Flüchtlinge bloß das viele Geld?“ – Ein beliebter Spruch unter den Westdeutschen lautete: „Als er kam war er ein Flüchtling, als er ging ein Millionär!“

Mit den Jahren erfuhren wir, dass man auch den Heimatvertriebenen, die etwa 15 Jahre vor uns aus Ostpreußen, Pommern oder Schlesien gekommen waren, das gleiche Misstrauen entgegen gebracht hatte. Man unterstellte ihnen, dass sie auf den Behörden einen viel größeren Besitz angegeben hätten, als sie wirklich besaßen, um eine möglchst hohe Entschädigung rauszuschlagen. 

Sündenböcke Nr. 2: Gastarbeiter  

Anfang der 1960er Jahre kamen die ersten „Gastarbeiter“ aus Italien nach Deutschland. Ihnen wurde nachgesagt, sie hätten nichts anderes im Sinn als den deutschen Mädchen nachzustellen. Dabei waren diese Gastarbeiter fleißig, doch sie lebten in spärlichen Behausungen und schickten ihr sauer verdientes Geld nach Hause an ihre Familien. 

Sündenböcke Nr. 3: Ostdeutsche nach der Wiedervereinigung  

Als deja vu empfand ich den Umgang mit den Ostdeutschen nach der Wiedervereinigung. Die „Ossis“ hätten ja nichts in die Rentenkasse eingezahlt. Sie nähmen uns Westdeutschen alles weg. Von unseren Steuergeldern werden deren Straßen saniert ..., hieß es. 

Sündenböcke Nr. 4: Arbeitslose  

Nachdem die Mauer in Berlin weg aber die Mauer in den Köpfen geblieben war, hatte man sich im Westen der Republik allmählich an die „Ossis“ gewöhnt. Nun brauchte man neue Sündenböcke, diesmal mussten die Arbeitslosen dran glauben. „Arbeit muss sich wieder lohnen“, sagte der frühere Außenminister Guido Westerwelle, womit er den Arbeitslosen pauschal unterstellte, dass sie ja eigentlich gar nicht arbeiten wollen, weil ihnen das Arbeitslosengeld reichte. 

Sündenböcke Nr. 5: Geflüchtete von heute  

Doch nachdem die ersten Flüchtlinge aus Afrika, Syrien und Afghanistan kamen, hatte man plötzlich Mitleid mit „unseren armen Arbeitslosen“. Nun sind die Flüchtlinge, oder politisch korrekt, die „Geflüchteten“ die Sündenböcke, denen man alle Unbill in diesem Land zuschreibt. Gewiss: Wie in allen Bevölkerungsgruppen gibt es auch unter ihnen Menschen, die sich nicht an die Gesetze halten, die betrügen oder gar gewalttätig werden. Doch sie pauschal als kriminell abzustempeln und so zu behandeln, Menschen, die auf ihrer langen Flucht alles verloren und ihr Leben riskiert haben ...? 

Heute fragt niemand mehr danach, ob jemand aus Ostpreußen oder der ehemaligen DDR geflohen ist, die „Gastarbeiter“ sind in unsere Gesellschaft integriert, deutsche Staatsbürger geworden oder in ihre Heimatländer zurückgekehrt. Die Arbeitslosenzahlen sind zurückgegangen, und ich wage die Prognose, dass auch die heutigen Geflüchteten eines Tages in unserem Land integriert sind, arbeiten und Steuern zahlen oder in ihre Heimatländer zurückgekehrt sind. 

Doch die kleingeistigen Neidbürger werden immer wieder neue Sündenböcke finden ...

8. November 2018